Die Archiv Produktion des musikhistorischen Studios der Deutschen Grammophon Gesellschaft war 1949 gegründet worden, mit dem hohen Anspruch, Alte Musik nach neuesten Forschungserkenntnissen aufzunehmen und zu veröffentlichen. Es entstanden nach Forschungsbereichen gegliederte Aufnahmeserien, die oft vergessene Werke in maßgeblichen Interpretationen vorstellten. Die Covergestaltung der ersten Jahre strahlte durch ihre rein typografische Reduziertheit Seriosität und Würde aus und hatte den Charakter von musikwissenschaftlichen Publikationen.
Spätere Covergestaltungen waren variantenreicher, doch der Anspruch an Aufnahmequalität und Originalität des Repertoires blieb:
Angesichts der Fülle an Aufnahmen für Archiv Produktion seit 1949 fiel es nicht schwer, eine repräsentative Box mit Barockmusik von Monteverdi bis Bach aus dem Fundus zusammenzustellen. Für die insgesamt fünf zu gestaltenden Seiten der würfelförmigen Verpackung – der Boden würde bilderlos bleiben – wollte man ganz neue Wege gehen.
Dekorative Motive aus der Geschichte der barocken Kunst auszuwählen wäre ein Leichtes gewesen, doch DG wäre nicht DG, wenn nicht kontinuierlich nach Innovation gestrebt würde. Und so machte sich Art Director Fred Münzmaier auf die Suche nach einer zeitgenössischen Version barocker Ausdrucksformen. Er fand sie in den Unterwasserfotografien der amerikanischen Künstlerin Christy Lee Rogers.
Schwingende Kompositionen, vibrierende Farben und schwerelose Posen vereinen sich in ihren Werken zu einer höchst individuellen Bildsprache – tatsächlich erinnern viele Motive an die Götterhimmel barocker Deckengemälde.
Als der Art Director diese Bildschöpfungen dem verantwortlichen Product Manager David Butchart vorschlug, bewies dieser Neugier und Offenheit und entschied sich dafür. Man hatte gefunden, was man intuitiv gesucht hatte: Baroque with a twist.
Christy Lee Rogers, die als Fotografin auf Unterwasserszenen spezialisiert ist, wurde in Kailua in Hawaii geboren und lebt heute in Nashville in den USA. Sie hat das Spektrum der zeitgenössischen Fotografie erweitert, indem sie Wasser als aktive Kraft in die Bildentstehung integriert. Ihre Modelle sind in locker drapierte, stoffreiche Gewänder gehüllt, die vom Wasser aufgebauscht oder eng an den Körper gepresst werden, je nach Laune des Elements. Das Raffinement der Lichteffekte begründet sich in der nächtlichen Entstehung der Bilder, bei der mit starken Scheinwerfern das Geschehen im Wasser punktuell erleuchtet wird, starke Hell-Dunkel-Kontraste sind die Folge. Aufnahmen vom Set zeigen die »Versuchsanordnung«, die dem Zufall eine führende Rolle einräumt:
Rogers beschreibt das Arbeiten unter Wasser: »Es kann manchmal gefährlich werden, denn Wasser verzeiht keine Fehler; es dringt in die Nasenlöcher ein, es ist kalt und es hat ein Eigenleben. Man bewegt sich, wohin immer es will, und die Stoffe tanzen in einem eigenen Rhythmus. Bei den Modellen stoppt das Gedankengewitter, das wir alle in unseren Köpfen haben, und das ist wunderbar, denn es erlaubt ihnen, ganz sie selbst zu sein.«
In einem fragilen Prozess des Experimentierens baut Christy Lee Rogers kunstvolle Szenen aus verschmolzenen Farben und ineinander verschlungenen Körpern. Angesichts der Fluidität, die so buchstäblich den Motiven eingeschrieben wird, wundert es nicht, dass Rogersʼ Arbeiten mit Werken barocker Maler wie Rubens, Caravaggio oder Tiepolo verglichen werden.
Zuletzt sei noch die Gestaltung des Booklets erwähnt, auch sie war vom Barock inspiriert. Diesmal kam Fred Münzmaier selbst künstlerisch zum Einsatz, indem er mit lockerem Pinselstrich Komponistenporträts und bezaubernde Vignetten entwarf.
Hier sieht man den Art Director bei der Arbeit:
Diese DG Cover Story ist der Erinnerung an David Butchart (1952–2023) gewidmet, dem Project Manager für diese Box und langjährigen Mitarbeiter der Deutschen Grammophon. Unser Kollege David hat zunächst seit 1986 als Lektor für Englisch und als Spezialist für Frühe Musik bei DG begonnen, bevor er seit 1997 als Product Manager arbeitete, zuletzt als Leiter der Katalogabteilung des Gelblabels. 2016 verabschiedete er sich in den Ruhestand. In seiner Zeit bei DG verantwortete David Butchart erfolgreiche Projekte und Konzepte, so z. B. The Centenary Collection zum 100. Geburtstag des Labels, die Suite der DG 111-Produkte oder auch so erfolgreiche Serien wie Original Masters und Collectors.
Ein ehemaliger Kollege hat einmal David Butcharts Herangehensweise an seine Projekte beschrieben: »Er arbeitet im Grunde wie ein Museumskurator« – in anderen Worten mit großer Intelligenz, Tiefe der Recherche und einem Auge für Details. The All-Baroque Box ist bestes Beispiel für die herausragenden Fähigkeiten dieses stets bescheidenen, ja leisen Mannes. David, wir vermissen Dich und werden Dich und Deinen Beitrag zur Geschichte von Deutsche Grammophon nicht vergessen.