Giuliano Carmignola, der im Veneto geborene Spezialist für Musik des 18. Jahrhunderts, hatte Anfang 2011 mit Deutsche Grammophon vereinbart, in rascher Folge zwei neue Alben zu veröffentlichen, das erste mit Kompositionen von Joseph Haydn, das zweite mit Musik von Antonio Vivaldi. Seit 2005 hatte er schon mehrere Einspielungen für das Label gemacht, gemeinsam mit dem Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon sowie mit dem Orchestra Mozart unter Claudio Abbado.
Als nun Carmignola und die Verantwortlichen bei DG gemeinsam überlegten, wer die Fotos für die anstehenden Projekte aufnehmen sollte, schlug der Geiger seine Tochter Anna vor. Schon als Teenager hatte sie mit einer Spiegelreflexkamera experimentiert und während ihres Studiums der Kunstgeschichte parallel auch ihre Kenntnisse in Fototechnik und Bildgestaltung vertieft. Zum Zeitpunkt der Gespräche ihres Vaters mit DG war sie bereits regelmäßig als Assistentin von Berufsfotografen tätig und hatte eigene kleinere Projekte umgesetzt. So bot sich eine optimale Chance, das Gelernte in die Tat umzusetzen. Noch heute erinnert sich Anna Carmignola gerne daran:
»Damals arbeitete ich bereits als Fotografin, zwar nicht regelmäßig, aber ab und zu hatte ich kleinere Aufträge. Eines Tages bat mein Vater mich, Fotos zu machen für das Cover seiner nächsten CD beim Gelblabel. Ich war sicher, dass DG meine Fotos niemals benutzen würde, aber da lag ich falsch. Es war eine der ersten Fotosessions, die mein Vater und ich zusammen machten. Die Aufnahmen entstanden im Garten meines Elternhauses, auf dem Land bei Treviso im Veneto. Mir hat das viel Spaß gemacht und neben allerhand Porträts habe ich auch einige Fotos von meinem Vater mit seinem Motorrad gemacht. Beide hätten wir nie damit gerechnet, dass sie DG gefallen würden, geschweige denn Verwendung fänden.«
Ihre Porträts zeigen einen entspannten Musiker in idyllischer Natur, die Geige in der Hand oder an seiner Seite:
Ein Motiv aus dieser Serie wurde bereits für das Cover desjenigen Albums ausgewählt, das gut ein Jahr vor dem Vivaldi-Album erschien. Der Geiger hatte hierfür die drei erhaltenen Violin-Konzerte Haydns zusammen mit dem Orchestre des Champs-Élysées unter der Leitung von Alessandro Moccia aufgenommen.
Die eigentliche Sensation dieser Fotosession waren jedoch die Bilder mit Motorrad – und ohne Geige. Kurz vor dem Fototermin mit seiner Tochter hatte sich Carmignola nämlich einen Traum erfüllt und ein neues Motorrad gekauft, das Modell Nevada 750 von Moto Guzzi, eine klassische Schönheit der italienischen Motorradbaukunst. Der Musiker erinnert sich für diese Cover Story an den Beginn seiner Motorradleidenschaft und erzählt, was sie für ihn bedeutet:
»Ich fahre Motorrad, seit ich 16 wurde. Gleich nachdem ich meinen Führerschein gemacht hatte, kaufte ich mein erstes Motorrad, eine ISOMOTO 125. Es wäre um einiges normaler gewesen, eine Vespa zu kaufen, aber ich war kein Fan davon. Motorradfahren ist für mich wie das Reiten eines Pferdes, wohingegen Vespafahren wie Sitzen auf dem Sofa ist! Mit meinem Motorrad fahre ich gern in die Berge, in meine Dolomiten, meine liebste Landschaft in der ganzen Welt, und dann überkommt mich das Gefühl von Freiheit – so als ob ich fliege.«
Das Team von DG war von den Fotografien begeistert, denn im beständigen Bestreben, die sorgfältig vorbereiteten und aufgenommenen Alben auch mit einem Motiv zu schmücken, das sich durch ein Alleinstellungsmerkmal auszeichnet, war ein Barockexperte auf einem Motorrad natürlich perfekt. Wie gut das Covermotiv »funktionierte«, überraschte den Geiger:
»Dass DG sich für dieses Foto als Covermotiv entscheiden würde, konnte ich mir nicht vorstellen, denn wir hatten bei der Session ja nur etwas herumgespielt. Ich war total überrascht, als ich den Coverentwurf sah, aber ich muss zugeben, er ist wirklich sehr gelungen, eine großartige Idee.«
Die Entscheidung für das Covermotiv war also schnell gefallen, eine Variante wurde außerdem in das Booklet aufgenommen. Das Bild aber, auf dem das edle Zweirad in seiner ganzen Pracht zu sehen ist, wird hier für diese Story zum ersten Mal veröffentlicht.
In der Sommersonne des Veneto ist eine gute Sonnenbrille eine unabdingbare Begleiterin und so wundert es nicht, dass der Musiker seine Ray-Ban Aviator dabeihatte. Dieses klassische Modell aus dem Jahr 1937, das ursprünglich entwickelt wurde, um die Augen von Piloten der U. S. Air Force vor grellem Sonnenlicht in großen Höhen zu schützen, hat Designgeschichte geschrieben und ist über alle zeitgeistigen Moden erhaben. Im Hollywoodfilm ist es ein immer wiederkehrendes Accessoire, wenn es darum geht, Coolness und Style zu suggerieren. Neben einer prominenten Rolle auf der Nase von Tom Cruise in Top Gun von 1986 war die Aviator auch bei Marlon Brando in The Wild One (Der Wilde) von 1953 im Einsatz.
Wenngleich Giuliano Carmignola nicht wie der von Marlon Brando verkörperte Rocker einer Motorrad-Gang angehört, ist der Titel des Albums Vivaldi con moto – der nach einem Brainstorming zwischen dem so italophilen wie italophonen Product Manager Burkhard Bartsch und der Autorin gefunden wurde – doch auch Verstärkung dessen, was visuell im Cover angelegt ist, denn »moto« ist das italienische Wort für Motorrad (worunter im Übrigen auch die in Italien allgegenwärtigen Motorroller fallen, deren Geknatter und Gehupe zum Sound Italiens gehört wie Vivaldi und Puccini).
Doch ¬– und dieses Wissen ist bei DG-Fans sicher als gegeben anzunehmen – »con moto« ist in der Musik auch eine die Tempoangabe ergänzende Vortragsbezeichnung, wie bei »Andante con moto« oder »Allegro con moto«. »Mit Bewegung«, so die wörtliche Übersetzung, steht im Fall von Carmignolas Vivaldi-Album für eine Beweglichkeit der Darbietung, die von gängigen Schemata abweicht. Stillstand ist langweilig, beständiges Forschen nach neuen Interpretationsansätzen ist das, was Musik lebendig erhält. Sowohl die Deutsche Grammophon als auch die für sie aufnehmenden Künstler:innen stehen genau für dies: das ständige Streben nach Erneuerung und kreativer Freiheit.
Für die DG ist wichtig, dass sich die Künstler:innen mit der visuellen Hülle ihrer Aufnahmen identifizieren können. Im Falle von Carmignola & Carmignola ist dies besonders gelungen und sowohl Vater als auch Tochter blicken gern auf die Zusammenarbeit zurück. Sie wurde sogar auf zwei weiteren Alben fortgesetzt, diesmal mit Repertoire von Johann Sebastian Bach.
Anna Carmingola:
»Es ist nicht leicht, seinen eigenen Vater zu fotografieren; manchmal kann es sogar schwieriger sein, mit einer Person zu arbeiten, die einem nahe ist. Ich fühle mich sehr geehrt, dass meine Fotografie ein DG-Cover ziert, aber die Dimension dessen habe ich erst realisiert, als ich dann die CDs in einem großen Musikgeschäft ausgestellt sah. Das war so aufregend!«
Giuliano Carmignola:
»Wenn ich von meiner Tochter fotografiert werde, bin ich entspannt und ich kann mich authentischer geben. Sie kann sehr gut meine fotogensten Gesichtsausdrücke einfangen. Ich möchte behaupten, die schönsten Fotos auf meinen Albumcovern wurden von ihr gemacht.«