Am 10. März 2023 erreichte eine Anfrage den Kundenservice von Deutsche Grammophon: »Ignaz Breitkreuz (1925–1991) hat in den 1960er-Jahren für die Deutsche Grammophon und für Heliodor Plattentaschen gemalt. Ich würde gerne erfahren, ob Sie Listen der von ihm gestalteten LP- und Single-Cover haben und ob Sie die Originale und sonstige Informationen in Ihrem Archiv haben.«
Derjenige, der dieses Anliegen so präzise formuliert hatte, ist der Sohn des Künstlers, Christoph Breitkreuz, ein Wissenschaftler, der als Geologe auf die Erforschung von Millionen Jahre alten Erdschichten in Vulkangebieten spezialisiert ist, also eine Art »Lava-Archäologe«, dessen wissenschaftliche Artikel so beeindruckende Titel tragen wie beispielsweise »U–Pb zircon geochronology of the Ediacaran volcano-sedimentary succession of the NE Saghro inlier (Anti-Atlas, Morocco): Chronostratigraphic correlation on the northwestern margin of Gondwana«. Kurz nach seiner Emeritierung hatte er sich nun vorgenommen, zusammen mit seinem Bruder Felix Breitkreuz das Lebenswerk seines Vaters zu dokumentieren.
Als eine seiner ersten Initiativen in dieser Hinsicht verfasste er die oben zitierte Mail. Sie kam genau zum richtigen Zeitpunkt, denn bei DG hatte man in den ersten Monaten des Jahres 2023 gerade mit den Recherchen für »The DG Cover Stories« begonnen. Was für ein Glücksfall!
Noch am selben Tag der Kontaktaufnahme telefonierten der Geologe und die Autorin dieses Artikels und es kam daraufhin zu einem regen Austausch von Informationen und Bildern. Schließlich erfolgte die Einladung an die Autorin, den Nachlass des Künstlers im Familienbesitz in Berlin zu sichten.
Dieser Nachmittag, an dem Originale betrachtet und angeregte Gespräche geführt wurden, brachte viele Erkenntnisse und Anregungen, sowohl für die Forschung zum Künstler als auch zur Geschichte der Coverentstehung. Kurz darauf publizierte die Familie einen Wikipedia-Artikel mit den bisher zusammengetragenen Fakten zu Leben und Schaffen von Ignaz Horst Breitkreuz.
Allein der Name des Künstlers war bereits Gegenstand lebhafter Diskussion. Er wurde auf den Schallplattenhüllen sowohl als Ignaz H. Breitkreuz wie als Horst Breitkreuz angegeben. Die selbstgewählte Hinzufügung von Ignaz zum regulären Vornamen Horst lässt sich derzeit nur in Bezug auf ein einziges Cover der DG nachweisen, allerdings ist dies auch das bekannteste. Es handelt sich um die Illustration zu Karl Böhms 1965 erschienener Aufnahme der Zauberflöte mit den Berliner Philharmonikern und einem erlesenen Solistenensemble.
Dass sich Breitkreuz immer sorgfältig auf die Aufträge von DG vorbereitete, erinnert sein Sohn genau. Der Künstler besaß zahlreiche Nachschlagewerke zur Kunst- und Kulturgeschichte und auch Bildbände zu historischen Trachten und Kostümen. Sie dienten ihm zur Inspiration und inhaltlichen Fundierung. An etlichen Details ist zu erkennen, dass Breitkreuz sich auch für den Entwurf zum Zauberflöte-Cover genaue Kenntnisse über Werkgeschichte und Handlung dieses Singspiels angeeignet hatte. So sieht man im Hintergrund eine Architekturfantasie, deren Front aus einer Reihe von Arkadenbögen besteht – ohne Zweifel der Tempel, in dem ein Großteil der Handlung spielt. Aus der Mitte leuchtet hell die Sonne. Dies lässt sich unmittelbar auf die Schlussarie des Sarastro beziehen, wenn dieser singt: »Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht, zernichten der Heuchler erschlichene Macht.« Im Vordergrund erkennt man die Figur des Papageno, deren wesentliches Gestaltungselement sich bis zu dem Kostüm der Uraufführung zurückverfolgen lässt. Emanuel Schikaneder, der Leiter des Freihaustheaters in Wien und Sänger des Papageno, trug bei der Premiere im Jahr 1791 ein Gewand, das über und über mit Vogelfedern bedeckt war.
Auch Breitkreuz zeigt ihn so, dazu versehen mit einer Vogelfängerflöte in der Art einer Panflöte, wie sie vom Papageno der Aufführung der Königlichen Hofoper in Berlin im Jahr 1816 überliefert ist.
Im Nachlass des Künstlers hat sich eine Skizze zur Figur des Papageno erhalten. Das in Gouachetechnik ausgeführte Blatt erlaubt einen Einblick in den Schaffensprozess des Künstlers.
Vergleicht man die Skizze mit dem späteren Cover, erkennt man, dass das generelle Konzept der Figur übernommen wurde, vor allem die tänzerische Körperhaltung und das Federkleid. Doch hat Breitkreuz für das Cover am Detail gefeilt: Es wurde die Farbigkeit reduziert, aufgehellt und dadurch harmonisiert und auch das Gesicht wurde noch deutlicher einer historischen Theatermaske angenähert. Außerdem hat der Künstler Papageno mit einem Fond hinterfangen, der Elemente der Architektur aufgreift, so als ob er die Figur aus dem Geschehen im Hintergrund isoliert herangezoomt hätte, ein Effekt, den man zum Beispiel aus Comics kennt.
Eine Auswahl weiterer Cover von Ignaz Horst Breitkreuz für Deutsche Grammophon zeigt die Bandbreite dieses Künstlers:
Ignaz Horst Breitkreuz hat das Erscheinungsbild vieler Alben von Deutsche Grammophon in den 1960er-Jahren stark geprägt. Von 1961 bis 1969 lassen sich 24 veröffentlichte Covergestaltungen dieses Künstlers für DG belegen, außerdem zehn weitere für das Schwesterlabel Heliodor. Sein ganz eigener künstlerischer Stil, der durch Leichtigkeit der Formen und Flüssigkeit des Farbauftrages charakterisiert ist, hat die visuelle Identität des Gelblabels fast ein Jahrzehnt lang bereichert und das akustische Erlebnis in eine poetische visuelle Sprache übersetzt. Es ist schön zu wissen, dass das Werk dieses Künstlers von der Familie so engagiert bewahrt und erschlossen wird.