Lang Lang gilt als Pianist, der aufgrund seiner überragenden Technik die großen virtuosen Klavierkonzerte mühelos beherrscht und sie für das staunende Publikum wie Fingerübungen aussehen lässt. Mit dem Album Piano Book präsentiert er jedoch ein unerwartetes Konzept für ein aufwendiges Aufnahmeprojekt: kurze Werke der klassischen Klavierliteratur, die sich fast jeder ambitionierte Schüler vornimmt, um allmählich seine Fähigkeiten zu trainieren. Lang Lang kombiniert sie mit Musikstücken aus aller Welt, die durch ihre schlichten, anrührenden Melodien in ihrem jeweiligen Kulturkreis bekannt und beliebt sind. Ein ungemein persönliches Album ist entstanden, das vor allem eines vermitteln soll: die Freude am Klavierspielen, verbunden mit dem Respekt vor der interpretatorischen Komplexität vermeintlich leichter Stücke.
Lang Lang kehrt damit zurück zu seinen Wurzeln, zu seinen eigenen Anfängen, als er als kleiner Junge eifrig Klavier übte und dabei Referenzaufnahmen seiner Lieblingsstücke vermisste, die einfach deshalb nicht existierten, weil sie von Meisterpianisten aufgrund mangelnder technischer Herausforderung nicht eingespielt wurden.
Als gereifter Virtuose war es Lang Lang nun ein Anliegen, auch jenen Stücken seine volle künstlerische Aufmerksamkeit zu widmen, die als Leichtgewichte des Repertoires gelten. Deutsche Grammophon war sofort überzeugt von diesem innovativen Ansatz, passte er doch zum Engagement der Firma für die Vermittlung klassischer Musik an Kinder und Jugendliche. Peter und der Wolf in Hollywood, das mit populären Sprechern aufgenommen wurde und durch eine begleitende App zusätzliche Videos und Spiele anbot, ist ein schönes Beispiel dafür.
Der Fotograf Gregor Hohenberg hatte für Piano Book bereits früh eine Fülle von Aufnahmen gemacht, die Lang Lang rund um einen Flügel zeigen, in spielerischer Interaktion mit Notenblättern oder einfach in Bewegung – alles gelungene Bilder, die uns Lang Lang nahebringen.
Beim Cover galt es aber darüber hinaus, den Titel des Albums zu illustrieren – und das erwies sich als Herausforderung. Einige zeitintensive kreative Um- und Nebenwege wurden beschritten, und angesichts des Wartens auf einen stimmigen Entwurf stieg die Spannung aller Beteiligten täglich. Die Veröffentlichung des Albums rückte näher und den Termin zu verschieben kam nicht infrage, denn der viel beschäftigte Künstler hatte bereits in seinem dicht gefüllten Kalender Termine für Konzerte und Interviews reserviert, um das Album der Weltöffentlichkeit vorzustellen, allen voran für die Premiere in Paris:
Der entscheidende Durchbruch gelang Art Director Dirk Rudolph. Er kam urplötzlich auf den Gedanken, beide Bestandteile des Albumtitels – ein Piano und ein Buch – visuell miteinander zu verschmelzen, sodass der aufgeklappte Deckel des Flügels die Seiten eines aufgeblätterten Buchs offenbart. Blitzschnell hatte er ein Buch fotografiert, das in seinem Studio lag, es notdürftig digital in die Ansicht des Flügels montiert und dies als Screenshot an Oliver Kreyssig geschickt, der das Projekt als Creative Manager koordinierte. Die simple, doch gleichermaßen visuell wie konzeptionell überzeugende Idee stieß auf Begeisterung.
Dirk Rudolph verzichtete bewusst darauf, das Buch digital zu simulieren. Er erinnert sich: »Nur ein ganz frisches, ungelesenes Buch ergab genau jenen Effekt des Auffächerns, das den Leser lockt, zwischen den Buchdeckeln auf Entdeckungsreise zu gehen.« So fotografierten Assistenten im Studio tagelang immer wieder ganz analog neue Bücher, bis das Motiv »im Kasten« war und mit der Ansicht des Flügels per Photoshop vereint werden konnte. Zuletzt wurde noch das rote Lesebändchen digital ergänzt und geboren war ein sinnbildliches Covermotiv, in dem sich auch Lang Lang mit seinem Anliegen wiederfand.
Manchmal ist das Einfachste das Schwierigste – und umgekehrt: Diese Erkenntnis ist in die Covergenese eingeschrieben und ist damit das perfekte visuelle Äquivalent zu Lang Langs Mission, vermeintlich einfache und viel gehörte Stücke immer wieder neu zu hören, neu zu spielen, neu zu deuten und neu zu lieben.